Das Gespräch

Über die Notwendigkeit der Reflexion

Ein wesentliches Charakteristikum des Informationszeitalters wird gerne auf die Kurzformel „overnewsed but underinformed“ gebracht – wir werden von Nachrichten überschwemmt, aber gleichzeitig mangelt es an hilfreicher Orientierung durch das Ereignis- und Informationsdickicht. Es gelingt die zweifelsfreie Zuordnung der verschiedenen Informationsbruchstücke nicht (immer) oder nur unbefriedigend. Nur zu häufig bleibt die Antwort auf die Frage nach der Glaubwürdigkeit einer Nachricht undbefriedigend. Kein Wunder, dass in solchen Situationen die Glaubwürdigkeit des Informationsmediums für die interessierte Öffentlichkeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das Medium selbst wird durch die Qualität seiner Sendungen zum Garanten für vertrauenswürdige und verlässliche Information.

Zwei Entwicklungen am Nachfragemarkt nach Information sind in den zurückliegenden Jahren immer sichtbarer geworden: zum einen der Wunsch nach mehr fachspezifischer Information (z.B. aus den Bereichen Wirtschaft, Kommunikation, Gesundheit,…), zum anderen das generelle Bedürfnis nach mehr vertiefender Information. Beide Bedürfnisse sind durch die Form des Gesprächs besonders gut erfüllt, das Bedürfnis nach Orientierung im Informationsdschungel, nach Aufklärung im besten Wortsinn, zu erfüllen.

Ein Gespräch ist ein Gespräch ist ein Gespräch. Es gehorcht anderen Gesetzmäßigkeiten als das Interview, das ursprünglich Anleihen bei den Fragemethoden der New Yorker Polizei nahm. Während das Interview im Ablauf an das Schema von Reiz und Reaktion erinnert, gesellt sich im Gespräch eine dritte – ganz wesentliche und meines Erachtens unverzichtbare – Dimension hinzu. Dem Reiz folgt zuerst die Reflektion, dann die Reaktion. Was das Gespräch essentiell von anderen journalistischen Formen der Informationsvermittlung unterscheidet ist also der Anspruch der Reflexion Raum geben zu wollen. Dieser Anspruch ist auch dann aufrecht zu halten, wenn dieser Nachdenkprozess nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip bewertet im Moment wertlos erscheint.
Es geht in meinen Gesprächen in erster Linie um die Suche nach Standorten, um die redliche Überprüfung der eigenen Haltung und auch darum, ob Urteile tatsächlich fundierte Urteile und nicht bloß Vorurteile sind. Mit meinen Gesprächen will ich dazu anstiften, auf Vorrat zu denken und neue Perspektiven eröffnen, die nicht immer bequem sein können.

Michael Kerbler