Nicht erst seit dem Terrormassaker von Paris ist klar: die Organisation “Islamischer Staat” hat Al-Kaida als gefährlichste jihadistische Gruppierung im Nahen Osten und auf der ganzen Welt abgelöst. Der „IS“ kämpft für die Realisierung der Utopie eines radikal-sunnitischen Kalifats. Die Sunniten – natürlich nur in der Minderzahl radikal – stellen die zahlenmäßig größte Strömung innerhalb des Islam. Der „IS“ ist aus dem Widerstand gegen die US-Invasion hervorgegangen. Aber von Anfang an hat diese Gruppierung im Irak nicht nur US-Soldaten angegriffen, sondern auch Anschläge gegen die neue politische Elite im Irak, die religiösen Schiiten, verübt und sich gegen Nichtmuslime gewandt.
Seit Mai 2010 steht der Iraker Abu Bakr Al-Bagdadi an der Spitze des „IS“. Der Angriff in Paris wird direkt mit ihm in Zusammenhang gebracht. Seit 2012, als sich der „IS“ in den syrischen Bürgerkrieg einmischte, hat er an Macht im Mittleren Osten gewonnen. Vor allem im Nordosten Syriens hat sich der „IS“ durchgesetzt, im Irak hat er im Juni 2014 die zweitgrößte Stadt des Landes, Mossul, erobert. Der IS finanziert sich aus Steuern, Wegzöllen, Beschlagnahmungen und Erpressungen, durch den Handel von Öl und Antiken, aber auch durch hohe finanzielle Zuwendungen aus den arabischen Golfstaaten wie Saudi-Arabien. In den Reihen des „IS“ kämpfen internationale Brigaden aus allen islamischen Ländern, aber auch Muslime und Konvertiten aus Europa und Nordamerika.
Gudrun Harrer hat Islamwissenschaften, Arabistik und Politikwissenschaften studiert und mit einer Dissertation über das irakische Atomprogramm promoviert. Sie ist leitende Redakteurin der Tageszeitung DER STANDARD und unterrichtet an der Universität Wien und an der Diplomatischen Akademie Wien Moderne Geschichte und Politik des Nahen Ostens. Im Jahr 2006 wurde Gudrun Harrer von der österreichischen Bundesregierung als Sondergesandte des österreichischen EU-Vorsitzes und Geschäftsträgerin der Botschaft Bagdad in den Irak geschickt, wo sie Österreich während der EU-Präsidentschaft vertrat.